Kategorien
Allgemein

Lehrproben und Unterrichtshospitationen – ein paar Gedanken zum Referendariat

In den letzten Wochen bin ich auf Twitter immer wieder auf sehr kritische Äußerungen zum Referendariat, vor allem zu Unterrichtshospitationen und Lehrproben gestoßen. Auch wenn mir diese Kritik nicht neu ist, schockiert es mich immer wieder, von wie vielen Kolleg*innen an der Schule diese Zeit als „toxisch“ und „traumatisierend“ empfunden wird und wurde. Ich möchte ein solches Erleben niemandem zumuten, ich kenne auch niemanden, der das will. Um es vorwegzunehmen: Ich denke, dass Ausbilder*innen wie LAA in hohem Maße bereit sein müssen, eigene Konzepte zu hinterfragen und stets im Gespräch darüber sein müssen, was sie von sich selbst und voneinander erwarten und vor allem, was guter Unterricht ist. Aber zunächst meine Gedanken zu einigen der Kritikpunkte:

Sind Unterrichtshospitationen artifiziell und unrealistisch?

Zu den schwierigsten Erfahrungen gehören die Unterrichtshospitationen und die anschließende Beratung und z.T. auch Benotung. Die Erwartungen von Ausbilder*innen werden als überzogen und teilweise auch völlig unvorhersehbar erlebt, die hospitierten Stunden werden in der Konsequenz manchmal sogar zu einer „Theateraufführung“, um diese zufriedenzustellen.

Es werde eigentlich immer ein „Methodenfeuerwerk“ erwartet, das im alltäglichen Unterricht so gut wie nie zu sehen, und bei einer durchschnittlichen Arbeitsbelastung auch nicht zu leisten ist. Clara Schaksmeier beschreibt dies in ihrem Blog als „GAP-Problem“. Aber ist der Vergleich wirklich stimmig? In Lehrproben sollen LAA zeigen, dass sie guten Unterricht halten können, unterschiedliche Methoden kennen, auf ihre Schüler*innen eingehen usw. Das sind Ausnahmesituationen, auf die man sich, je nach Bundesland, unterschiedlich lang vorbereiten kann, in Baden-Württemberg z.B. drei Tage. Die Erwartung ist also die zu zeigen, wie gut ich unterrichten kann, wenn ich viel Zeit zur Vorbereitung habe, mir in Ruhe über alle Details und Unabwägbarkeiten Gedanken machen, verschiedene Vorgehensweisen abwägen kann, usw. Das sind natürlich nicht die Rahmenbedingungen, die sonst im Schulalltag vorherrschen. Trotzdem würde ich sagen, dass die meisten Lehrer*innen sich über Unterricht sehr viele Gedanken machen, die sie aber oft auch schon in produktive Handlungsroutinen übersetzt haben. Sie müssen vielleicht nicht mehr daran denken alle Schüler*innen im Blick zu haben, zu loben, usw., weil sie es automatisch tun. Und wenn sie auch nicht für jede Stunde aufwändiges Material konzipieren (was gar nicht immer gebraucht wird), haben sie das für einige Stunden durchaus getan. Die Dinge, die in Hospitationen gezeigt werden (sollen), sind im Schulalltag vorhanden und dort genauso relevant wie in einer Hospitation, nur eben nicht immer leistbar. Aber eben auch nicht nie.

Vermutete Erwartungen

Ein großer Stressfaktor ist der Eindruck, uabhängig davon wie man selbst Unterricht wahrnimmt, subjektiven Vorstellungen der Ausbilder*innen genügen und deshalb eben eine Traumstunde für sie inszenieren zu müssen. Das kann eigentlich, wenn überhaupt, nur zufällig gelingen – was für eine Anforderung zu erraten, was jemand, den ich nur wenig oder gar nicht kenne, in einer bestimmten Situation erwarten würde.

Lehrproben und Hospitationen zu Beratungszwecken sind kein artifizielles Produkt, es sind zunächst einmal echte Unterrichtsstunden mit echten Schüler*innen und echten Lernzielen. LAA sollten sie nicht an vermuteten Erwartungen ausrichten, und Ausbildende sollten keine spezifischen Erwartungen an Vorgehensweisen haben, außer, dass sie zum Ziel führen. Lehrende, auch wenn sie gerade beobachtet werden, sollten Unterricht an ihren Schüler*innen ausrichten und Vorgehensweisen nach deren Bedürfnissen wählen, und Beobachtende sollten ihn daran messen. Das setzt natürlich voraus, dass ein gemeinsames Verständnis von „gutem Unterricht“ besteht und das kann nur entstehen, wenn sich beide Seiten darüber immer wieder austauschen. „Guter Unterricht“ ist kein leicht zu fassender Begriff, Tiefenstrukturen sind schwerer zu erkennen und zu verdeutlichen als Methoden, aber nur der stete Austausch darüber ermöglicht es meiner Meinung nach, mit gleichen Erwartungen in eine Hospitationsstunde zu gehen, und nicht das „Methodenfeuerwerk“ zum Maßstab zu machen. LAA müssen dazu eventuell Präkonzepte über Schule und Lernen hinterfragen; Ausbilder*innen müssen offen für Entwicklungen und Vorstellungen ihrer Referendar*innen sein, und mit ihnen zusammen an einem Konzept von „gutem Unterricht“ arbeiten.

Bin ich eine schlechte Lehrerin?

Sehr belastend ist im Referendariat auch, wenn man sich als Person, zumindest als Lehrperson, in Frage gestellt sieht und oft auch selbst stellt. Diese Erfahrung haben sicher die meisten Lehrer*innen irgendwann einmal gemacht, ich auch. Aufgemuntert hat mich ein Aufsatz, den ich damals gelesen, und seither leider nie wieder gefunden habe: „How to be a really rotten teacher“. Bin ich eine schlechte Lehrerin, weil ich in der letzten Stunde kein einziges Unterrichtsziel erreicht, die Aufmerksamkeit der halben Klasse verloren und dann eine völlig unrealistische Hausaufgabe gestellt habe? Die Antwort: Nein, ich bin nur eine Lehrerin, die gerade eine wirklich schlechte Stunde gehalten hat. Nach vielen Jahren Berufserfahrung kann ich mit einem positiven Selbstkonzept etwas zersaust aber insgesamt unbeschadet aus solchen Erfahrungen hervorgehen. Als Berufsanfänger*in muss man aber erst selbst in die neue Rolle finden und ein Selbstkonzept entwickeln. Negative Erfahrungen und Kritik von außen haben ein ganz anders Gewicht, stellen manchmal eben gleich die Berufswahl, die Eignung oder gar die eigene Persönlichkeit in Frage. Auch wenn Kritik gut gemeint ist und sich ausschließlich auf ein Vorgehen, und nicht auf die Person bezieht, kann sie Schaden anrichten, wenn sie isoliert im Raum steht, und nicht Teil einer gemeinsamen Arbeit an gemeinsamen oder zumindest gegenseitig wahrgenommenen und akzeptierten Zielen ist.

Für mich ist also das Entscheidende, bereit zu offenen Gesprächen zu sein und dabei vorauszusetzen, dass die andere Person ein echtes Interesse daran hat zu lernen und sich zu entwickeln, bzw. mich als LAA auf diesem Weg zu unterstützen.

Zu diesem Text wurde ich angeregt durch den Beitrag von Clara Schaksmeier (https://www.claraschaksmeier.de/post/das-gap-problem-im-referendariat), die Überlegungen von Björn Nölte (https://noelte030.medium.com/anmerkungen-zum-lehramts-referendariat-e698d6c4aa3e ), vor allem auch die zahlreichen Initiativen zum Austausch von Iris Laube-Stoll und Catrin Ingerfeld (https://www.ingerfeldundlaube.de/ ) und die Beiträge der vielen Kolleg*innen, die sich daran beteiligt haben und unter dem Hashtag #fl_seminar schreiben, sowie die gemalten Denkanstöße von Karl-Heinz Hellwald (hier exemplarisch: https://twitter.com/HellwaldKarl/status/1440921019640860675?s=20) . Und natürlich sowieso die Gespräche mit meinen lieben Kolleg*innen am SAF Rottweil.